Die Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten Biden und seines Teams Ende Januar 2021 hatte nicht nur unmittelbare Folgen für die USA, sondern auch für Europa. Zur stellvertretenden Außenministerin für politische Angelegenheiten wurde Victoria Nuland ernannt. Sie hatte 2013/14 den Sturz der ukrainischen Regierung und all das, was sich um den sogenannten Maidan ereignete, maßgeblich zu verantworten. Man erinnere sich auch an ihren berühmt-berüchtigten Ausspruch „Fuck the EU“ (eine Übersetzung macht diesen Satz nicht besser). Damals, in der Obama-Administration, für Russland und Europa verantwortlich, hat sie sich die Meriten für eine nunmehr globale Verantwortung erworben. Nun könnte sie sich durchaus zu „Fuck China“ oder gar „Fuck the World“ hinreißen lassen. Dass sie zu denen gehört, die die Interessen der USA definieren, ist ihr nicht vorzuwerfen. Nur sollte sie dann wenigstens die Möglichkeiten dieser USA einigermaßen real einschätzen. An dieser Fähigkeit sind jedoch erhebliche Zweifel angebracht.
Die dominierenden politischen und wirtschaftlichen Eliten in den USA möchten erklärtermaßen allerspätestens in 10 Jahren das 21. Jahrhundert wieder zu einem amerikanischen machen. Dazu sollen die USA erneut zur alles beherrschenden Weltmacht werden. China und Russland müssen für dieses Ziel im laufenden Jahrzehnt eingegrenzt und mit inneren und/oder äußeren Problemen „beschäftigt“ werden. Für diese Zwecke bieten sich aus US-Sicht gegenüber Russland die Ukraine und Syrien in besonderer Weise an. Seit Beginn dieses Jahres werden deshalb die nationalistischen und offen faschistischen Kreise in der Ukraine ermutigt und geradezu angestachelt, ihre aggressiven Ziele gegenüber dem Donbass und Russland auf der Krim mit Waffengewalt zu verfolgen. Entgegen den Minsker Vereinbarungen zum Donbass und mit stiller Duldung der KSZE-Beobachter vor Ort, konzentriert die Ukraine seit drei Monaten starke Truppenverbände entlang der Frontlinie zu Lugansk und Donezk und entlang der Grenze zu Russland auf der Krim. Der Beschuss des Donbass wurde ebenso verstärkt, wie der Zufluss von immer mehr Waffen und „Ausbildern“ aus den USA, Großbritannien und der Türkei in die Ukraine. Auch Gruppen der Spezialkräfte dieser Staaten operieren mittlerweile in der Ukraine. Über all diese Entwicklungen wurde in den regierungskonformen Medien der westlichen Länder so gut wie nichts berichtet.
Die zu erwartende Reaktion Russlands und der Streitkräfte des Donbass wurde dann jedoch ganz schnell zum Thema in den Massenmedien der NATO-Staaten. „Der Igel stellt seine Stacheln auf! Wie schrecklich!“. An Verlogenheit ist diese seit Wochen laufende, westliche Propagandakampagne kaum zu übertreffen. Allerdings ist sie, wie schon so oft in der Geschichte, untrennbarer Bestandteil von Kriegsvorbereitungen. Gerade in Deutschland sollte man sich doch noch an Gleiwitz erinnern.
Russland bemüht sich seit einiger Zeit sehr aktiv und öffentlich, die westlichen Nebelschleier über dem Donbass weg zu pusten. Präsident Putin bat den Präsidenten Macron und Kanzlerin Merkel erst kürzlich um ein Video-Gipfeltreffen. Entgegen deutscher Medienmeldungen ging es nicht um Corona-Impfstoffe, sondern um die mittlerweile akuten Risiken eines Krieges im Osten Europas. Niemand weiß, in welche Richtung sich so ein Krieg entwickeln kann. Zu viele Staaten haben mittlerweile ihre Soldaten in diese Region geschickt. Die Kriegsparteien sehen diese Entwicklung gern. Es geht nicht darum, dass NATO-Soldaten oder die der Ukraine eine Chance gegen die russischen Streitkräfte hätten. Die haben sie nicht. Dazu sind diese totgeweihten Soldaten auch nicht da – sie sollen der Stolperdraht sein, den Russland fürchtet und sich abwatschen lässt. Nur, was, wenn Russland seine Bürger und sein Territorium verteidigt? Wer in den USA und Westeuropa will dann die Verantwortung übernehmen und dem selbst angezettelten Wahnsinn Einhalt gebieten?
Deshalb fährt Russland gemeinsam mit Weißrussland sozusagen zweigleisig. Sie zeigen allen, die Krieg wollen, um damit eigene politische Interessen zu erzwingen, was sie gegebenenfalls erwartet. Und sie machen den Ernst der Lage öffentlich, mit allem, was sie zur Verfügung haben. Putin hat zum Thema Ukraine-Donbass weitere Telefonate mit Kanzlerin Merkel geführt, um möglichst den deutschen Einfluss in der Ukraine in die Waagschale einer friedlichen Konfliktlösung zu werfen. Ob es etwas bringt? Gott sei Dank, scheint es in den USA und Westeuropa Menschen zu geben, die mittlerweile die Lage und die eigenen Möglichkeiten, aber auch die unberechenbaren Risiken realistischer einschätzen, als zuvor. Dennoch kann man nur hoffen, dass die Zahl dieser Menschen deutlich zunimmt und dass sich die politische Waage innerhalb der NATO nicht zugunsten derer neigt, die einen Krieg in Europa entfesseln wollen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen.
Die USA machen nun mal als Weltmacht Globalpolitik. Damit sind sie keinesfalls allein. Auch Russland und China denken und handeln global. Einige weitere Staaten tun dies in großem regionalen Maßstab. Sie werden nicht still dasitzen und abwarten, sollte aus dem großen europäischen Bogen von Weißrussland über den Donbass bis auf die russische Krim tatsächlich ein Feuerbogen werden. Auch China macht den USA gegenüber deutlich, dass sie besser die globalen Folgen ihrer regionalen Handlungen vorher bedenken sollten. Am Ende sind es jedoch die USA, die sich entscheiden müssen.
Der Donbass ist kein Problem, das für Deutschland weit weg ist. Krieg dort bedeutet nicht nur Leid und Tod der Menschen dieser Region. Hunderttausende werden sich in diesem Fall in Bewegung setzen. Wohin ist leicht zu erraten. Lieferketten in ganz Europa werden zusammenbrechen und unermessliche Kosten auf alle Länder dieses Kontinents zukommen. Gerade in Deutschland sollte „man“ das ja aus fernerer und ganz naher Vergangenheit kennen. Und das wäre im Fall eines Krieges noch die günstigste Variante. Wir alle wären davon betroffen. Es ist in Zeiten etlicher Wahlgänge in Deutschland durchaus angebracht, zu bedenken, welche Parteien und Politiker für Frieden und ausbalancierte Zusammenarbeit und welche für Hetze und moralische Kreuzzüge eintreten. Die Antwort auf diese Fragen kann wieder einmal ganz unmittelbar über das künftige Wohl und Wehe der Wähler und Wählerinnen und ihrer Kinder entscheiden. Lutz Vogt