Seit der Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten Biden und seines Teams sind die Spannung in den Beziehungen zwischen den USA, Russland und China nicht geringer geworden. Das Gegenteil ist eher der Fall – trotz anderslautender Gipfelerklärungen und Telefonaten. Die immer wieder benannten Hauptkrisenherde sind die Ukraine/der Donbass in der Mitte Europas und Taiwan am chinesischen Ufer Eurasiens zum Pazifischen Ozean. Die Dimensionen in denen die drei Riesen USA, China und Russland denken und miteinander ringen sind global.
Um das 21. Jahrhundert wieder zu einem amerikanischen zu machen, tun die USA das ihnen noch Mögliche, Russland und China gerade jetzt größtmöglich zu schwächen und zu entzweien. Und sie fordern von möglichst vielen Ländern Gefolgschaft für die US-Politik ein. Auch auf das Risiko hin, dass Erklärungen ihrer Gefolgschaft eher Lippenbekenntnisse sind, die unter wirtschaftlichen und politischen Zwängen abgegeben werden. Schiere numerische Masse soll halt auch Eindruck schinden. Schließlich wird es immer genug „Follower“ geben, die der Vorhut treu in den Untergang folgen. Da kennen sich gerade die deutschen „Eliten“ ja noch bestens mit aus. Koste es, was es wolle.
Notwendige „Frontbegradigungen“ der USA zur Konzentration ihrer Kräfte und Mittel auf die eigenen Schwerpunkte, wollen maßgebliche Kräfte in den USA so durchführen, dass dadurch die größtmöglichen Schäden und Lasten bei Russland und China landen. Einfach abziehen, weil man Positionen nicht mehr halten kann und den Gewinn an seine Gegner fallen zu lassen, ist für die USA offenbar keine Option.
In der Ukraine und in Teilen der EU gibt es genügend Kräfte, die in ihrer blinden Wut gerne auf Russland einschlagen würden. Sie sehen und spüren die Fäden nicht mehr an denen sie hängen und gesteuert werden. Diese Akteure in und um die Ukraine verfolgen untereinander durchaus sehr unterschiedliche Ziele. Aus dieser unberechenbaren Gemengelage resultieren zusätzliche Gefahren für die weitere Entwicklung der gesamten Region.
Russland wirbt seit einiger Zeit besonders aktiv und öffentlich für reale, garantierte und nachprüfbare Schritte zum Spannungsabbau generell und speziell in der Mitte des europäischen Kontinents. Die Lage ist seit einiger Zeit so angespannt und gefährlich, dass eben jetzt keine Zeit mehr ist für Lavieren und taktische Spielchen. Jetzt heißt es, Farbe zu bekennen, um den Frieden in Europa zu erhalten oder eben nicht. Genau das liegt nicht nur im Interesse der Völker „fern im Osten“. Man bedenke: Es ist nicht weit von Kiew bis Berlin, Düsseldorf und München. Die Folgen eines Krieges in der Ukraine – sofern er sich denn überhaupt auf dieses Gebiet eingrenzen ließe – wären in ganz Europa zu spüren. Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen werden sich im Gefolge eines Waffengangs in und um die Ukraine in Bewegung setzen. Ihr Hauptziel ist ja nun nicht schwer zu erraten.
Krieg würde all die begonnenen Programme zur Verbesserung des Lebens der russischen Völker erheblich stören oder für gewisse Zeit zunichtemachen. Krieg ist für Russland und Belorussland zwischen Bug und Wladiwostok das Letzte, was diese Länder brauchen. SIE wollen keinen Krieg – den müssen ihnen andere schon aufzwingen. Das allerdings kann jederzeit und einseitig geschehen, wenn es seine potentiellen Verursacher denn für nützlich und halbwegs risikoarm halten. Man erinnere sich – aus einem Pistolenschuss in Sarajewo wurde ein weltweites Abschlachten mit Millionen Toten vor allem in Europa.
Niemand weiß, in welche Richtung sich heute ein Krieg entwickeln kann. Zu viele Staaten haben mittlerweile ihre Soldaten in diese Region geschickt. Genau darauf weisen die russischen Spitzenpolitiker wieder und wieder hin – in der Hoffnung, dass sie irgendwer hört. Nur zu schnell kann ein Krieg heutzutage von einem Ende Eurasiens ans andere Ende überspringen. Nichts ist sicher, aber leider fast alles möglich.
Mittlerweile haben auch führende Staatsmänner und Spitzenmilitärs in Westeuropa die Gefährlichkeit der Lage erkannt und sich aktiv und mit eigenen Ideen eingeschaltet, um eine Katastrophe wie vor 100 Jahren zu verhindern. Sie sind sich mit ihren russischen Kollegen durchaus im Klaren, dass sie alle gemeinsam die gewaltigen Kosten für eine blinde Gefolgschaft mit den USA tragen würden. Mittlerweile liegen zwar von verschiedenen Seiten substantielle und ernste Verhandlungsangebote auf dem Tisch – dennoch bleiben die Handlungen der Beteiligten widersprüchlich und nicht leicht verständlich. Innen- und außenpolitische Ziele und Interessen vermischen sich gerade in den westlichen Führungsmächten, in denen wichtige Wahlen anstehen. Das schafft kein gutes Umfeld für zügige, friedenssichernde Lösungen in und um die Ukraine.
Angesichts der bestehenden Ungewissheiten und wachsenden Risiken fährt Russland gemeinsam mit Weißrussland sozusagen zweigleisig. Sie zeigen allen, die Krieg wollen, um damit eigene politische Interessen zu erzwingen, was sie gegebenenfalls erwartet.
Die USA machen nun mal als Weltmacht Globalpolitik. Damit sind sie keinesfalls allein. Auch Russland und China denken und handeln global. Einige weitere Staaten tun dies in großem regionalen Maßstab. Sie alle werden nicht still dasitzen und abwarten, sollte aus dem großen europäischen Bogen von Weißrussland über den Donbass bis auf die russische Krim tatsächlich ein Feuerbogen werden. Auch China macht den USA gegenüber deutlich, dass sie besser die globalen Folgen ihrer regionalen Handlungen vorher bedenken sollten. Ein Krieg in Osteuropa würde China unmissverständlich klarmachen, wozu die USA bereit sind, ihre Vasallen auch im Osten Asiens zu opfern. Schließlich ist China zum erklärten Hauptgegner der USA und des „kollektiven Westens“ aufgestiegen. Dieser Gegner soll mit allen Mittel eingedämmt und bekämpft werden. Am Ende sind es jedoch die USA, die sich entscheiden müssen.
Gerade in Deutschland, in der Mitte der EU, sollten die weltweiten Folgen scheinbar regionaler Konflikte endlich mit bedacht werden. Wer seine Schiffe ans andere Ende der Welt vor Chinas Küsten schickt, und gleichzeitig einer verzwergten Betrachtung der internationalen Entwicklung folgt, handelt sozusagen doppelt verantwortungslos. Vor allem gegenüber dem eigenen Volk – sofern die hiesigen Entscheidungsträger noch eine Vorstellung davon haben. Deutschland wäre in einem erneuten Großkonflikt in Europa wieder einer der Hauptleidtragenden. Die Vermutung, dass nicht Russland, sondern die Deutschen die Hauptleidtragenden der lautstark gegen Russland angedrohten massiven Sanktionen sein werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Dabei könnte man sehr wohl aus der Geschichte der letzten 150 Jahre lernen. Zumindest ein Ziel, dass die USA und ihre Partner in London und Paris seit über einem Jahrhundert konsequent verfolgen, wäre durch einen Krieg in und um die Ukraine wieder mal erreicht – die Schwächung Russlands und Deutschlands und die weitere Verhinderung einer gegenseitig nützlichen und langfristigen Zusammenarbeit zum Wohle ihrer Völker. Ein Kelch, der in der Ukraine gefüllt würde, wird nicht an den Deutschen vorbeigehen. Sie müssten diesen bitteren Kelch bis zur Neige leeren. Noch haben es die Deutschen in der Hand, wie es weitergeht. Auch das gehört zum Thema globaler Politik und Frieden in Europa.
Lutz Vogt, 12.02.22